Bad Homburg. In Forscher-Kreisen wird diese Nachricht bestimmt mit Wohlwollen aufgenommen werden. Die Original-Bibliothek und das Editionsarchiv des bedeutenden Hölderlinforschers D.E. Sattler finden in der im Gustavsgarten gelegenen Villa Wertheimer in Bad Homburg v. d. Höhe eine neue Heimat. Die drei Kinder des Hölderlinforschers haben die Bücher und Dokumente persönlich aus dem nördlichen Schleswig-Holstein, wo die Familie lebt, nach Bad Homburg gebracht. Damit entsteht in der Villa Wertheimber ein neues Hölderlin-Zentrum.
„Das ist insofern eine kleine Sensation, als dass diese Dokumente die Grundlage für die berühmte von Sattler verfasste ,Frankfurter Ausgabe‘ sind, die der Forscher seit den 1970er-Jahren zu sämtlichen Werken Hölderlins verfasst hat“, freut sich Oberbürgermeister Alexander Hetjes. Die Internationale Hölderlin-Gesellschaft in Tübingen hatte diese als „Hölderlin-Arbeitsstelle“ bezeichnete Sammlung der Sattler-Dokumente 2020 von dem renommierten Forscher erworben, um damit seine bedeutende Editionsarbeit für alle Hölderlin-Forscher zu sichern.
D.E. Sattler erarbeitete über 30 Jahre die 20-bändige Frankfurter Hölderlin-Ausgabe, die in KD Wolffs Verlag Roter Stern, später Stroemfeld, herausgegeben wurde. Sattler setzte einen Meilenstein für das Verständnis und das Lesen der Texte, indem er eine neue, revolutionäre Editionstechnik einführte. Sein erlernter Beruf als Typograf bot dafür die besten Voraussetzungen. Hölderlin korrigierte gerne über, unter und neben seinen Sätzen. Dadurch sind seine Handschriften nur sehr schwer, wenn überhaupt zu entziffern. Diese verschiedenen Varianten, Verwerfungen und Überarbeitungen machte Sattler sichtbar, indem er – auf Faksimiles – die Schichten von Hölderlins Arbeit am Text durch unterschiedliche typografische Gestaltung kennzeichnete. Auf diese Weise ist der Entstehungsprozess der Dichtungen, die Sattler auch historisch-kritisch kommentierte, sichtbar und nachvollziehbar. Man wirft gewissermaßen einen Blick in Hölderlins Werkstatt.
Die Sammlung wird in der Villa Wertheimber im Stadtarchiv untergebracht und ist der Öffentlichkeit zugänglich. Ausleihen kann man die Bücher nicht, wohl aber mit ihnen im Lesesaal arbeiten. In der Villa befindet sich auch die Hölderlin-Wohnung mit der dazu gehörenden eigenen Hölderlin-Bibliothek. Die Stadt stellt diese Wohnung Forschern und Schriftstellern kostenlos für einige Monate zur Verfügung, damit sie hier wissenschaftlich oder literarisch arbeiten können. Die Bibliothek und das Editionsarchiv von D.E. Sattler umfassen in zahlreichen Kartons alles, was der Autor zur Entstehung der Frankfurter Hölderlin-Ausgabe benötigte, zum Beispiel Kopien aus Archiven und Bibliotheken – und vor allem Faksimiles aller Hölderlin-Handschriften. Die Privatbibliothek Sattlers zu Hölderlin umfasst über 650 Bücher und Publikationen, die in Zusammenhang mit dem Dichter stehen.
Da Sattler sich in der Frankfurter Ausgabe ganz überwiegend mit Handschriften des Dichters befasste und einen völlig neuen Zugang sowie eine neue Lesart zu ihnen entwickelte, war für die Hölderlin-Gesellschaft schnell klar, dass die sogenannte Sattler-Bibliothek nach Bad Homburg kommen muss. Schließlich ist die Stadt Bad Homburg Eigentümerin der größten Anzahl an Hölderlin-Handschriften, die im Original in der Landesbibliothek in Stuttgart verwahrt werden. Das Kulturamt der Stadt und die Hölderlin-Gesellschaft haben daher Anfang des Jahres einen Vertrag geschlossen, wonach die Hölderlin-Gesellschaft Eigentümerin der Sattler-Dokumente bleibt, aber die gesamte Hölderlin-Arbeitsstelle von D.E. Sattler mit allen Dokumenten als Dauerleihgabe an die Stadt Bad Homburg gibt. „Im Gegenzug werden wir die Bücher der Sattler-Bibliothek im wissenschaftlichen Katalogsystem Hebis katalogisieren, so dass der Standort der Bücher von Forschern bundesweit auffindbar ist“, erklärt die Leiterin des Kulturamtes, Dr. Bettina Gentzcke.
„Ich bin der Hölderlin-Gesellschaft sehr dankbar, dass sie unserer Stadt die original Hölderlin-Arbeitsstelle mit allen dazugehörigen Dokumenten und dem Editions-Archiv überlässt“, so Hetjes. Dies ermögliche es der Stadt, mit der Sattler-Bibliothek in Verbindung mit der Hölderlin-Wohnung ein hochkarätiges Hölderlin-Zentrum aufzubauen. Hetjes: „Damit gelingt es nicht nur, Hölderlin-Forschern und -Interessierten eine Fülle an hoch informativen Material zur Verfügung zu stellen. Vielmehr wird mit diesem Schritt jetzt für Hölderlin auch ein dauerhafter physischer Gedächtnisort in Bad Homburg geschaffen.“ Ein solcher habe, nachdem 1983 das letzte erhaltene Wohnhaus von Hölderlin in der Dorotheenstraße abgerissen worden war, gefehlt.
„Diese neue Ausrichtung ergänzt die bisherigen Hölderlin-Aktivitäten wie zum Beispiel die jährliche Verleihung des Friedrich-Hölderlin-Preises und dient dazu, zu verdeutlichen, dass der Dichter zu den Leuchttürmen in unserer Kulturstrategie gehört“, erklärt Dr. Gentzcke. Das Kulturamt werde das Hölderlin-Zentrum zukünftig mit wechselnden Ausstellungen zu Hölderlin beleben, um so den Dichter und seine wichtige Schaffenszeit in Homburg noch besser im Gedächtnis der Bürger und Bürgerinnen zu verankern und den Dichter besser erfahrbar zu machen.