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Bad Homburger Geschichte aus einem Schuhkarton
Aktuelles – 11.12.2023

Bad Homburger Geschichte aus einem Schuhkarton

Heidi Pleines überreicht Nachlass ihrer Freundin an das Stadtarchiv.
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#badhomburg

Bad Homburg. Die beiden Bad Homburgerinnen waren über viele Jahre innige Sangesschwestern beim Kirdorfer Gesangsverein. Und so kam es nicht überraschend, dass Heidi Pleines nach dem Ableben von Helga Knapp in den Besitz eines Teils des Nachlasses ihrer Freundin kam. Überrascht stellte Heidi Pleines bei der Sichtung der Unterlagen fest: „Da waren einige interessante Funde mit historischem Wert darunter.“ Also kam es gar nicht in Frage, die Archivalien wegzuschmeißen. Stattdessen packte Pleines, die mittlerweile im Rind’schen Bürgerstift lebt, die Funde in einen Schuhkarton und hob sie auf. Jetzt hat die rüstige Seniorin den Schuhkarton samt Inhalt dem Bad Homburger Stadtarchiv überreicht.

 

Dort freute man sich sehr über die spannenden Funde aus der jüngeren Bad Homburger Vergangenheit. Auch Oberbürgermeister Alexander Hetjes lobte den Weitblick von Heidi Pleines: „Es war genau der richtige Gedanke, die alten Unterlagen nicht wegzuschmeißen, sondern dem Stadtarchiv zur Verfügung zu stellen.“ 

 

Bei der Sichtung der Unterlagen im Stadtarchiv stellte sich heraus, dass Helga Knapp verwandtschaftlich mit der Familie Wild verbunden war. Ein Großteil der übergebenen Papiere, Fotos und Ansichtspostkarten stammen aus dem Nachlass der aus Böhmen stammenden Musikerfamilie Wild, die seit etwa 1904 in Bad Homburg nachweisbar ist. In den Unterlagen fanden sich unter anderem Zeugnisse des Musikers Bruno August Wild (geboren am 7. Mai 1868 in Teichhäuseln/Böhmen, gestorben am 13. Februar 1934 in Bad Homburg). Bruno Wild war als Musiker Mitglied des Kurorchesters der Stadt Bad Homburg und betätigte sich nebenbei auch als Musiklehrer in Bad Homburg. Bei dem größten Teil der Archivalien handelt es sich allerdings um Papiere aus dem Nachlass seines Sohnes Franz Richard Felix Wild, eines begabten Geigers - darunter Zeugnisse, Anstellungsverträge, Familienpapiere, Konzertprogramme und Kritiken sowie Fotos und Ansichtspostkarten.

 

Franz Wild wurde am 27. Dezember 1908 in Bad Homburg geboren, nach seiner musikalischen Ausbildung (Geige), spielt er bereits im jungen Alter von 19 Jahren in verschiedenen Kapellen, zum Beispiel in der Kapelle Christian Hüttenberger und wohl auch, wie sein Vater, im Kurorchester. Er wird allenthalben als „ein begabter Schüler aus der Meisterschule Adolf Rebner’s am Dr. Hoch’schen Konservatorium in Frankfurt a. M.“ bezeichnet.

 

In den von Heidi Pleines überreichten Unterlagen gab es auch einen Bezug zur Kinogeschichte der Stadt Bad Homburg. So fand sich in besagtem Schuhkarton auch ein von Adam Henrich, dem Besitzer von Henrichs Lichtspielpalast (Helipa), verfasstes Zeugnis für den jungen Franz Wild. Der leitete nämlich von 1. Mai 1929 bis zum 6. Oktober 1930 das Helipa-Orchester (die Helipa-Kapelle), welches die damaligen Stummfilme begleitete. „Wirklich erstaunlich, dass sich ein Kino damals ein eigenes Orchester leisten konnte“, sagt Stadtarchiv-Mitarbeiterin Beate Datzkow, die die Unterlagen gemeinsam mit ihrem Kollegen Tom Reez durchforstet hat.

 

Verwöhntes Publikum zufrieden gestellt

Adam Henrich bescheinigt Wild unter anderem, dass dieser „trotz seiner Jugend“ alle Programme mit „großem Geschick illustriert“ habe, „so dass unser verwöhntes Publikum und ich selbst mit seinen Leistungen sehr zufrieden waren“. Henrich betont allerdings auch, dass Wild nun aus dem Helipa-Team ausscheide - wegen „der Umstellung des Theaters auf Tonfilm“. Anhand der ebenfalls vorhandenen Zeitungskritiken lässt sich feststellen, dass die Helipa-Kapelle tatsächlich äußerst erfolgreich und beliebt war und auch bei anderen Gelegenheiten in Erscheinung trat.

 

Später spielte Wild zunächst wieder beim Kurorchester und bei der Bad Homburger Kapelle Hüttenberger, später Hüttenberger-Wild. Er wirkte beim Südwestdeutschen Rundfunk in Frankfurt a. M. und in der Saison 1933 auch als Geiger in der Kurkapelle Bad Mergentheim. Als Mitglied der Frankfurter Oper nahm er 1938 mit großem Erfolg an einer Konzertreise nach Bulgarien teil. Bekannt wurde er auch mit der heute nahezu vergessenen Kapelle Willy Burkart aus Bad Homburg. Eine enge Freundschaft verband ihn zudem mit der bekannten Bad Homburger Pianistin und Musikpädagogin Helene Gergens, mit der er in den 1930er Jahren und auch noch in der Nachkriegszeit Konzerte bestritt. All dies geht aus den gesammelten Unterlagen der verstorbenen Helga Knapp hervor.   

 

Franz Wild verstarb übrigens am 24. März 1999 in Bad Homburg. In erster Ehe war er mit Anneliese Voigt verheiratet, der Tochter des bekannten Bad Homburger Fotografen Thomas Friedrich Voigt (Atelier T.H. Voigt). Eine zweite Ehe schloss Franz Wild am 11. Juli 1953 mit Hildegard Knapp.

 

Dass Helga Pleines dem Stadtarchiv unter anderem Informationen zur Bad Homburger Kinogeschichte vermacht hat, kam auch Pascal Maiwald, dem Leiter des neuen Kinopolis am Bad Homburger Bahnhof, zu Ohren. „Wir sind natürlich sehr an der Kinogeschichte unseres neuen Standorts interessiert“, so Maiwald. Von den Informationen, die Heidi Pleines für die Nachwelt gerettet hat, war Maiwald so begeistert, dass er der Stifterin eine Freude machen wollte. Und die hatte auch gleich eine gute Idee: „Ich würde mich freuen, wenn uns das Kinopolis ein paar Freikarten für die Bewohner des Rind’schen Bürgerstifts zur Verfügung stellen würde, die nicht mehr so mobil sind.“

 

Da ließ sich Maiwald nicht zweimal bitten und stellte 20 Freikarten für Kinopolis zur Verfügung. Jetzt können zehn Bewohner jeweils mit Begleitung eine Vorstellung nach Wahl besuchen. Und Pleines weiß auch schon, wer die Begleiter sein werden: „Wir kommen regelmäßig Besuch von Schülerinnen und Schülern der Humboldtschule, die mit unseren Mitbewohnerinnen und Mitbewohner, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind, spazieren gehen.“