Die luxemburgisch-schweizerische Pianistin Viviane Goergen hat in 2024 Klavierwerke der wiederentdeckten Komponistin Marie Jaell (1846- 1925), einer nahen Freundin und Geliebten von Franz Liszt, aufgenommen. In diesen Klavierstücken interpretiert Jaell musikalisch die Göttliche Komödie von Dante. Viviane Goergen spielt die ergreifendsten Stücke daraus, wie z.B. Dans les flammes (In den Flammen), Désirs Impuissants (Fruchtlose Sehnsucht), Remords (Gewissensbisse), Maintenant et jadis (Jetzt und einst). Marie Jaell war zu Lebzeiten als Wunderkind am Klavier, Komponistin und Musikwissenschaftlerin sehr erfolgreich gewesen, was in ihrer Zeit nicht üblich war. Sie war eine Ausnahme. Trotzdem hat sie nach diesem großartigen Klavierzyklus das Komponieren frustriert an den Nagel gehängt. Sie fühlte sich total unverstanden und zutiefst verletzt. Nach ihrem Tod wurde sie ganz vergessen. Um die Jahrhundertwende war es nicht üblich, dass Frauen komponierten.
Ähnlich ging es Schriftstellerinnen in dieser Zeit. Sie mussten sogar oft unter falschem Namen schreiben, um ihre Texte veröffentlichen zu können. Dies wird von Sandra Kegel, Leiterin des Feuilletons der FAZ, in ihrem Buch « Prosaische Passionen » (Manesse, 2022) thematisiert. Sandra Kegel wird uns ausgewählte Kurzgeschichten präsentieren, die mit den Klavierstücken von Marie Jaell korrespondieren. So erhalten wir Einblicke in die schwierigen Bedingungen, mit denen Künstlerinnen am Beginn der Moderne konfrontriert waren.